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Judenstein

Foto: Monika Gschwandner-Elkins 2012

Judenstein 1

Judenstein - Bild 1

Foto: Monika Gschwandner-Elkins 2012

Judenstein 2

Judenstein - Bild 2

Foto: Monika Gschwandner-Elkins 2012

Judenstein 3

Judenstein - Bild 3

Foto: Monika Gschwandner-Elkins 2012

Judenstein 4

Judenstein - Bild 4
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Beschreibung

Der „Judenstein“ - ursprünglich mitten in der Lavant bei der Schwemmtratten auf einem Felsen aufgestellt - liegt heute in einem kleinen, künstlichen Teich neben der Lavant. Er erinnert an die blutigen Verfolgungen der Wolfsberger Juden in den Jahren 1338 und 1348/49. Gewaltausbrüchen gegen die jüdische Bevölkerung waren im deutschsprachigen Raum damals häufig. Sie wurden oft mit Gerüchten über eine „Hostienschändung“ ausgelöst. Darunter verstand man eine unerlaubte Verwendung einer geweihten Hostie. Juden, die kein Blut essen dürfen, wurde beispielsweise unterstellt das Blut Jesu zum Backen der Mazzas zu verwenden, der Backwaren für das Pessachfest. Der „Judenstein“ ist Bestandteil der „Legende vom Wolfsberger Hostienwunder“, mit der die Pogrome, die zur Vernichtung der Wolfsberger Judengemeinde führten, erklärt und begründet wurden. Die „Rettung“ der Hostien wurde als christliche gute Tat verstanden und als Verteidigung des Glaubens gerechtfertigt. Leider werden diese Legenden bis heute überliefert.

Legende, Geschichte, Sage

1. Zum historischen Kontext

Seit der Antike sind antisemitische Ressentiments, die über kulturelle Narrative und Praktiken tradiert und erlernt werden, Teil des kollektiven Bewusstseins europäischer Gesellschaften . Gerüchte über Hostienfrevel gehörten neben Ritualmordvorwürfen zu den häufigsten Lügen und damit zu den Auslösern antijüdischer Gewalttaten im Mittelalter und bis heute. Hostien, also der geweihte Leib Jesu, sind in der christlichen Liturgie von zentraler Bedeutung. Seit der Spätantike sind Berichte über „Hostienwunder“ bekannt, die von vergeblichen Versuchen der Zerstörung oder Entsorgung von geweihten Hostien berichten, die in der Folge von Schändungsversuch zumeist zu bluten begonnen hätten. Als „Schänder“ beschuldigt wurden christliche Glaubensabweichler, Magier, Hexen und im Spätmittelalter hauptsächlich Juden. Die Schauplätze der Hostienwunder entwickelten sich häufig zu Wallfahrtsorten mit beträchtlicher wirtschaftlicher Dynamik.
Eine theologische Grundlage, für die mit „Hostienwundern“ in Verbindung gebrachten Pogrome an der jüdischen Bevölkerung im Spätmittelalter bot die „Transsubstantiations-lehre“ an, die am 4. Laterankonzil 1215 in dessen 1. Kapitel beschlossen wurde, der zufolge der Leib Jesu Christi im Verlauf der Messfeier in der Hostie wahrhaft gegenwärtig werde. Die Schändung der Hostie wurde als Schändung des Leibs Jesus verstanden, die versuchte Zerstörung der Hostie als seine versuchte (neuerliche) Tötung.
Antijüdische Pogrome in Zusammenhang mit „Hostienwundern“ nahmen im 14. Jahrhundert stark zu. Auch dafür wurden Grundlagen durch die Beschlüsse des 4. Laterankonzils 1215 geschaffen, das in vier Kapiteln Regelungen zur Trennung von Juden und Christen und damit zur Vermeidung sozialer Kontakte traf und dabei auf antijüdische Stereotype zurückgriff und diese verstärkte. Gemeinsam mit den Beschlüssen des Konzils, durch welche die weltlichen Herrscher der Zeit zu einer konsequenten Verfolgung von „Herätikern“ verpflichtet wurden, trug man damit zu einem Klima der Radikalisierung bei, das sich in den antijüdischen Pogromen des Spätmittelalters entlud, die teilweise „epidemische“ Ausmaße annahmen: Die sogenannte „Rintfleisch-Verfolgung“ ging 1298 von Röttingen in Schwaben aus und wurde zum Vorwand für Judenverfolgungen und -ermordungen in 130 Orten von Schwaben über Franken bis Hessen und Thüringen. 1336-1338 ereignete sich eine noch wesentlich umfangreichere Pogromserie, die als „Armlederverfolgung“ bezeichnet wird. Darüber hinaus sind im Gebiet des heutigen Österreich aus dieser Zeit eine Reihe von Pogromen urkundlich dokumentiert, zum Teil als lokale Einzelereignisse (Laa: 1294; Korneuburg: 1305; St. Pölten: 1306), zum Teil als Ausgangspunkt regelrechter Pogromserien (Fürstenfeld: 1312; Pulkau: 1338), die sich auch auf das Herzogtum Kärnten erstreckten. Auch wenn kein unmittelbarer Zusammenhang zwischen der Armlederverfolgung oder Pulkau und den Wolfsberger Pogromen von 1338 und 1348/49 nachweisbar ist, so wird der Judenhass der Wolfsberger Legende im größeren zeitgenössischen und räumlichen Kontext besser verständlich. Er nahm sich eine Lüge zum Vorwand, um Ausgrenzungswünsche- und gedanken besser zu argumentieren, die jüdische Bevölkerung zu vertreiben und auszurotten und ihre Habe zu stehlen.

Besonders aufschlussreich ist das Korneuburger Pogrom von 1305, weil es in zeitgenössischen Quellen außergewöhnlich gut dokumentiert ist: Eine blutige Hostie sei an der Türschwelle des Hauses des Judens Zerkel gefunden worden. Daraufhin wurde dieser von Korneuburger Bürgern erschlagen. Zehn jüdische Männer und Frauen wurden verbrannt. Die Untersuchung, bei welcher 21 christliche Zeugen befragt wurde, erbrachte den Nachweis, dass die blutige Hostie von einem ungenannten Priester an der Türschwelle Zerkels deponiert worden war, um ein „Hostienwunder“ zu simulieren und die Juden zu ermorden. Die Juden waren unschuldig. Trotz des nachgewiesenen Betrugs wurde die „Wunderhostie“ zu einem beliebten Objekt der Volksfrömmigkeit. Die Legende wurde im 17. Jahrhundert auf einem Flügelaltar dargestellt, im Mirakelbuch des Korneuburger Augustinerklosters niedergeschrieben und zu einem Anziehungspunkt für Wallfahrer.

2. Zum regionalen Kontext

Die Legende vom „Wolfsberger Hostienwunder“ ist auf einem auf ca. 1700 datierten vierteiligen Tafelbild eines unbekannten Malers dargestellt, das bis ins 19. Jahrhundert zur Ausstattung der Kirche vom heiligen Blut gehörte. Die Kirche wurde anlässlich des Baus des heutigen Wolfsberger Rathauses abgerissen. Heute befindet sich das Bild in der Dreifaltigkeitskirche in Wolfsberg. Unter dem Bild wurde am 15.08.2001 auf Initiative von Univ. Prof. Dr. Peter Scheer eine erläuternde Mahntafel mit folgendem Text enthüllt:
„Das Tafelbild erinnert an das schändliche Unrecht, das von Christen an den Juden begangen wurde. In den Jahren 1338 und 1348/49 kam es in Wolfsberg zu blutigen Judenverfolgungen, die zur Vernichtung der Wolfsberger Judengemeinde führten. Auslösende Ursachen waren antijüdische Vorwürfe, wie die dargestellte angebliche Schändung geweihter Hostien und auch wirtschaftliche Interessen.
In Zusammenhang mit der Neueinweihung der Dreifaltigkeitskirche am 29. August 1999 durch Diözesanbischof Dr. Egon Kapellari wurde diese Informations- und Gedenktafel angebracht als Mahnmal und als Aufruf der Versöhnung zwischen Christen und Juden: „Im Bewusstsein des Erbes, das sie mit den Juden gemeinsam hat, beklagt die Kirche, die alle Verfolgungen gegen irgendwelche Menschen verwirft, nicht aus politischen Gründen, sondern auf Antrieb der religiösen Liebe des Evangeliums, alle Hassausbrüche, Verfolgungen und Manifestationen des Antisemitismus, die sich zu irgendeiner Zeit und irgend jemanden gegen die Juden gerichtet haben.“ (II. Vatikanisches Konzil, Erklärung über das Verhältnis zu den nichtchristlichen Religionen Nr. 4)“.


Die Legende vom „Wolfsberger Hostienwunder“ wurde in kaum oder gar nicht kommentierter Form bis in die jüngste Vergangenheit in Kärntner Sagensammlungen, Wolfsberger Stadtführern und bis zur Intervention von UP Dr. Peter Scheer im Juli 2022 auch auf der Homepage http://www.kleindenkmaeler.at/home/ abgedruckt. Zu lesen war die Legende auch im von Diözesanbischof Egon Kapellari autorisierten Katechismus der katholischen Kirche aus dem Jahr 1994.

Beim „Judenstein“, von dem nach der Legende (an dessen ursprünglicher Stelle in der Lavant) die heiligen Hostien in den Himmel aufstiegen nachdem sie über mehrere Tage hinweg im reißenden Fluss schwammen, ohne fortgerissen zu werden oder geborgen werden zu können, wurde im August 2000 eine Gedenktafel mit folgendem Text angebracht: „In den Jahren 1338 und 1348/49 kam es in Wolfsberg zu blutigen Judenverfolgungen. Auslöser der Pogrome und Ursache der Massenhysterie waren Gerüchte über jüdische Hostienschändungen.
Dieser „Judenstein“ soll an das schändliche Unrecht erinnern, das unseren jüdischen Mitbürgern von Christen zugefügt wurde. Der „Judenstein“ soll ein Zeichen der Versöhnung mit jenem Volke sein, aus dem für uns Christus der Erlöser geboren wurde. Stadtgemeinde Wolfsberg, Stadtpfarre Wolfsberg, Dekanat Wolfsberg“

Diese Tafel wurde seit ihrer Errichtung neuerlich geschändet und auf Initiative Dr. Scheers und DI Dr. Ulrich Habsburg-Lothringens von der Stadtgemeinde Wolfsberg im Sommer 2022 wieder instandgesetzt.

Im Zusammenhang mit den Wolfsberger Pogromen des 14. Jahrhunderts und der Legende vom „Hostienwunder“ muss auf eine Brauchbeschreibung in Georg Grabers erstmals 1934 veröffentlichten „Volksleben in Kärnten“ hingewiesen werden. Sie stellt eine areligiöse Alternativlegende zum „Hostienwunder“ zu den Wolfsberger Pogromen des 14. Jahrhunderts dar. Graber berichtet in seinem Buch, das bis heute als Standardwerk der Kärntner Volkskultur angesehen wird, vom Brauch des „Prügelsonntags“, der am ersten Sonntag nach dem Dreikönigstag, in Wolfsberg begangen wurde. Der Brauch erinnerte an das Verprügeln der Wolfsberger Juden anlässlich ihrer Vertreibung im Mittelalter. Der Auslöser der Vertreibung ist in diesem Fall kein Hostienfrevel, sondern ein angeblich vereitelter Putschversuch der Juden zur Übernahme der Macht in der Stadt, wobei ein unglückliches Liebesverhältnis einer jungen jüdischen Frau zu einem christlichen Burschen eine entscheidende Rolle spielte. Wann dieser Brauch in Wolfsberg aufkam, wie lange und mit welcher Beteiligung er in Wolfsberg gefeiert wurde, lässt sich aus Grabers Beschreibung nicht ableiten. Jedenfalls wurden in diesem Brauch die zwei antisemitischen „Urmotive“ tradiert: die unterstellte Hinterlist und Machtgier der Juden. Tatsächlich haben die christlichen Mitbürger:innen der Stadt die Jüd:innen beraubt, vertrieben und ermordet. Graber stellt in der Einleitung zur Beschreibung eine Verbindung zu Faschings- und zu Fruchtbarkeitsbräuchen her, bezeichnet ihn als „eigenartig“, schweigt sich aber zum antijüdischen Gehalt des Geschehens aus.
1989 wurde anlässlich des 50. Jahrestags der Okkupation Österreichs und in Erinnerung an die „Judenfreiheit“ Wolfsbergs ein Symposium in Erinnerung an die Judenvertreibungen und -ermordungen in der Ostmark abgehalten. Dabei kamen auch ehemalige Wolfsberger:innen zu Wort.

Das Kärntner Bildungswerk dankt Univ. Prof. Dr. Peter Scheer für die Intervention zur Überarbeitung und kritischen Aufbereitung des Eintrages zum Wolfsberger Judenstein, sowie ihm und Mag. Walter Richter für die vielen fachlichen Hinweise.
(Michael Aichholzer, Kärntner Bildungswerk Betriebs GmbH, August 2022)

Gemeinde

Wolfsberg

Denkmalschutznummer

78154

Standort

Der Stein befindet sich in einem kleinen Teich an der Schwemmtrattenstraße.

Eigentümer / Betreuer

Stadtgemeinde Wolfsberg